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Lernen 4.0 – mehr Individualisierung, mehr Freiheit?

Lernen 4.0 – mehr Individualisierung, mehr Freiheit?

Noch vor kurzem sprach alle Welt von massenhafter Bildung über das Web in Form von sogenannten MOOC´s. Damit sollte ein neuer Weg zu einer modernen Form des lebenslangen Lernens gefunden sein. Inzwischen schreitet der Wandel fort und die Digitalisierung von Inhalten und Lehr-/Lernprozessen ebenso. Der Übergang von den Massive Open Online Courses über sogenannte Coporate Open Online Courses (COOC) hin zu Small Private Online Courses (SPOC) hat längst stattgefunden und jetzt geht es vielmehr um eine Art der Individualisierung des Lernens. Dies ist zumindest eine mögliche Perspektive, die z.B. auch von Julia Behrens in ihrem Beitrag vertreten wird. Sie beschreibt die Chancen von Lernen 4.0 aus meiner Sicht sehr treffend: „Die Digitalisierung versöhnt dabei zwei scheinbar unvereinbare Aspekte: individuell zugeschnittenes Lernmaterial und gleichzeitig die massenhafte, raum- und zeitunabhängige Verfügbarkeit des Materials. Damit hat eines der fundamentalen Prinzipien rund um das Lernen ausgedient: für alle dieselbe Übung zur selben Zeit am selben Ort.“

In der vierten industriellen Evolution :-),  Industrie 4.0, ermöglicht Digitalisierung ebenfalls eine Individualisierung in der Produktionssteuerung hin zur wirtschaftlich vertretbaren Stückzahl eins. Ermöglicht wird dies durch den hohen Vernetzungsgrad der Produktionsanlagen untereinander, über das Internet der Dinge sowie mit allen benötigten Organisationseinheiten des Unternehmens. Dabei spielen kollaborative Lehr-/Lernprozesse zwischen Mensch und Maschine eine zunehmend wichtigere Rolle und der von G. Siemens postulierte Konnektivismus ist längst Realität geworden. Die Forschung zur künstlichen Intelligenz blüht wieder richtig auf.

Lernen 4.0 – mehr Individualisierung durch das Inverted Classroom Model?

Seit 2011 nutze ich in dem Grundlagenmodul „Vernetzte IT-Systeme“ im dualen Bachelorstudiengang das Modell des Inverted Classroom (ICM). Die Studierenden erschließen sich die Inhalte größtenteils per Video und Literatur. Zur selbstständigen Überprüfung ihrer Lernfortschritte, haben sie zu jedem Kapitel einen elektronischen Fragenpool (Assessments) im Lernmanagementsystem zur Verfügung. Die wertvolle Präsenzzeit nutzen wir gemeinsam, um im Aktivseminar zunächst gemeinsam offene Fragen zu den Materialien zu klären. Anschließend wenden die Studierenden ihr Wissen in Kleingruppen (4-6 Studierende) auf von mir vorbereitete Transferaufgaben an. Nachdem wir diese dann wieder im Plenum besprochen haben, wird wieder in denselben Kleingruppen an einer praxisnahen Fallstudie gearbeitet. Die Arbeit an der Fallstudie nimmt im gesamten Semester mehr als 50% der Zeit ein. Sowohl bei der Bearbeitung der Transferaufgaben, als auch bei der Arbeit an der Fallstudie habe ich die Möglichkeit sehr individuell auf die einzelnen Studierenden und deren Fragen einzugehen. Hier schafft das ICM mehr Raum für Individualisierung.

Mehr Individualisierung, mehr Lernerfolg?

Soweit klingt das eben beschriebene Lernformat erfolgsversprechend und das kann es auch sein… Allerdings ist dieses Lehr-/Lernsetting nicht nur für den Lehrenden eine besondere und vor allem ungewohnte Herausforderung, weil dieser seine gewohnte Rolle ändern und eher als Facilitator bzw. Mentor agieren darf. Ebenso sind die Studierenden gefordert. Vom Lernkonsumenten zum aktiven Selbstlernen ist aufgrund der langjährigen Sozialisierung im klassischen Schulsystem für manch einen Studierenden eine besondere Herausforderung, die nicht immer wahr- geschweige denn angenommen wird. Was Studierende manchmal nicht wahrnehmen, ist, dass dieses Format im „Output“, also der vielbeschworenen Handlungskompetenz, nicht nur das pure Wissen vermittelt, sondern auch die Anwendung. Und genau das macht einen signifikanten Unterschied, denn in der Anwendung des Wissens dringt der Lerner anlassbezogen viel tiefer in die Inhalte ein, als wenn er nur abstrakt Vorratswissen ansammelt. Engagierte Studierende wünschen sich mehr solcher Lerngelegenheiten und dann auch gleich weniger in Modulkategorien gedacht, als die klassischen Lehr-/Lernmodule. Beispielsweise wünschen sich Studierende im oben genannten Modul gleichzeitig eine Einführung in das IT-Projektmanagement. Also auch im Hochschulbereich wäre ein mehr ganzheitlicher Ansatz in Zukunft sicher wünschenswert.

Weiterbildung 4.0 – Wandel im lebenslangen Lernen

Während der Einzug digitaler Medien in formalen Lehr-/Lernszenarien insbesondere an Schulen und Hochschulen immer noch langsam voranschreitet, sind in informellen Lernprozessen der Einsatz digitaler Medien längst Alltag. Werner Sauter beschreibt in seinem Artikel „Digitalisierung und Lernen“ eine Zukunft, in der humanoide Computer zu Lernpartnern im Lernprozess des Menschen werden. In der Industrie 4.0 werden Roboter zu humanoiden Arbeitskollegen, die „Hand“ in Hand mit ihren menschlichen Kollegen in der Fertigung arbeiten. Mit dieser Entwicklung ist auch ein Wandel im lebenslangen Lernen verbunden. Um beispielsweise in Zukunft mehr digitale Geschäftsmodelle mit den Mitarbeitern von heute zu gestalten, sind neue Qualifizierungsmaßnahmen erforderlich (vgl. hierzu das Forschungsprojekt „Weiterbildung 4.0 – Management digitaler Geschäftsprozesse“).

Bildquelle: Fotolia, #114662644,“3D Rendering virtual connection“ von alphaspirit

Verzahnung von formalem und informellem Lernen

Verzahnung von formalem und informellem Lernen

Pfadfinder-informelles-LernenIm Rahmen der eLearning SUMMIT-TOUR 2013 bin ich zu einer Podiumsdiskussion am 26.11. 2013 in Hamburg eingeladen über die Verzahnung von formalem und informellem Lernen zu diskutieren. Die von mir sehr geschätzte Moderation Jasmin Hamadeh hat den Diskussionsteilnehmern einige Fragen im Vorfeld zur Vorbereitung zu kommen lassen, auf die ich hier kurz aus der Perspektive einer praxisorientierten Hochschule eingehe. (Bildquelle: M. Beat, flickr, 14.11.13)

J. Hamadeh: Stoßen Sie in Ihrem Arbeitsalltag überhaupt auf das Thema „informelles Lernen“ (wo?) – oder ist das in Ihren Augen ein Thema, das stärker als berechtigt „gehypt“ wird?

V. Langer: Der Schwerpunkt unserer Hochschule liegt in den Angeboten von dualen Studiengängen, die durch das Modell der Praxisintegration (vgl. zur Unterscheidung Positionspapier vom Wissenschaftsrat vom 25.10.2013, S. 21ff) einen Ermöglichungsrahmen schaffen, indem ein Wechsel zwischen formalem Lernen in der Hochschule und informellem Lernen in der betrieblichen Praxis kontinuierlich stattfindet. Wir haben dafür ein Konzept zur lernortübergreifenden Integration von Theorie und Praxis. Zum Beispiel ist ein Instrument innerhalb dieser Studiengänge das „freie Praxisstudium“. Dabei sind die Dimensionen des Lernens (nach Wittwer 2003) überwiegend informell. Es geht dabei zum Beispiel um eine Problemlösung im betrieblichen Alltag. Die Lernunterstützung ist bis auf einen Initialrahmen (Abstimmung des Themas zwischen Studierendem, Vertreter des Praxispartners und eines Lehrenden der Hochschule) nicht organisiert, d.h. sie findet selbstbestimmt statt, zum Beispiel durch Nachfragen und forschendes Lernen. Dieser Ansatz ist mehr ganzheitlich und führt teilweise zu unbewusstem Lernen. Im Lernergebnis greift nun das didaktische Konzept wieder ein: Neben dem erworbenen Erfahrungswissen, gilt es dieses in der Theorie zu reflektieren und darüber einen kurzen Bericht zu verfassen, der wissenschaftlichen Ansprüchen genügen muss (Ja, es geht darum ECTS-Credits zu erwerben!). Die Aufgabe der Hochschule sehe ich darin, dass wir den Ermöglichungsrahmen so aufspannen, dass der Lerner motiviert wird, einen Blick über den Tellerrand, der oft sehr individuellen betrieblichen Praxis, zu werfen.

Ich denke dieses Thema wird bislang noch viel zu wenig beachtet, denn oft fehlt die Wertschätzung des vielmehr nachhaltigen informellen Lernens. Vor allem vor dem Hintergrund der geforderten Öffnung von Hochschulen gegenüber beruflicher Bildung im Rahmen der „Offenen Hochschule“ wird selbst dem Begriff und damit auch dem Potenzial noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ein aktuelles Beispiel ist das o.g. Positionspapier vom Wissenschaftsrat, in dem der Begriff des informellen Lernens nicht zu finden ist.

J. Hamadeh: Sie vertreten alle Bildungsanbieter, die ausgeprägte Schnittstellen zu Unternehmen und deren Bedarfen haben. Werden von Unternehmensseiten Abfragen an Sie herangetragen, die informelles Lernen betreffen? Und/Oder von Ihren Teilnehmern?

V. Langer: Im Zusammenhang mit der Gestaltung gemeinsamer Lernprozesse im Rahmen von Praxisintegration gibt es dazu bei uns in der Hochschule regelmäßige (jeweils 1x pro Semester) Abstimmungen zwischen Praxispartnern, der Hochschule und den Studierenden. Auch dabei wählen wir oftmals einen mehr informellen Rahmen, in dem zum Beispiel die Studierenden ihre Themen/Arbeitsproben anhand von Postern präsentieren und so in einem informellen Rahmen mit Praxisvertretern und Lehrenden ins Gespräch kommen.

Darüber hinaus befasst sich unser Institut für Personalentwicklung und Lebenslanges Lernen mit der Entwicklung von betrieblich integrierten Weiterbildungsmaßnahmen, die ebenfalls ganz stark auf die Integration von formellem und informellem Lernen setzen. Zum Beispiel wird in einem neun monatigem Führungskräfteentwicklungsprogramm die Chance genutzt das in der Theorie gelernte direkt in der Praxis umzusetzen und wiederum dieses dann gemeinsam zu reflektieren.

J. Hamadeh: Gibt es für Sie in Bezug auf Bildungsstrategien/und -prozesse ein Gut, das Ihnen persönlich besonders wertvoll oder schützenswert ist?

V. Langer: Ja, die Vielfalt an Lernmöglichkeiten und an Lernchancen sowie die Durchlässigkeit verschiedener Bildungssysteme ist gerade bei uns in Deutschland enorm groß – sie sollte nicht aus irgendwelchen ideologischen Bestrebungen eingegrenzt werden, sondern weiter geöffnet werden (vgl. oben Beispiel „Offene Hochschule“ – Verbindung von beruflicher und hochschulischer Bildung).

J. Hamadeh: Haben Sie Konzepte, Ideen, Beispiele, wie informelles Lernen in Ihr formales Angebot integriert werden kann? Im Kleinen oder Großen? Sehen Sie eine Schnittmenge der Bereiche eLearning und informelles Lernen? (Welche?)

V. Langer: Was wir bislang bereits machen habe ich soeben beschrieben. Das „Wie“ ist dabei ein wichtiger Aspekt: Ohne ein stabiles Lernmanagementsystem (LMS) könnten wir die Qualität bei der lernortübergreifenden Betreuung und Lernbegleitung nicht sicherstellen. Insofern gibt es bereits bei diesen mehr klassischen Lehr-/Lernszenarien eine enorme Schnittmenge. Wir verbinden Präsenzlernen mit E-Learning in unserem blended-Learningkonzept zur lernortübergreifenden Betreuung und neuerdings auch um das „inverted Classroom Model“ oder auch als „Flipped-Classroom“  bezeichnet zu nutzen. Erste Erfahrungen zeigen, dass damit in Bezug auf die Bedürfnisse des Lerners der Ermöglichungsrahmen noch weiter gespannt und die gemeinsame Präsenz wertvoller gestaltet werden kann. Gerade in solchen Szenarien bewegen wir uns im Kontinuum von formalem und informellem Lernen (vgl. Winter 2003).

Auch die offenen Onlinekurse (sie müssen nicht unbedingt massive sein!) können in Zukunft die beiden Lernformen und damit auch unterschiedliche Zielgruppen noch stärker zusammen bringen. Unter dem Stichwort bMOOC (blended Massive Open Online Course) als Weiterentwicklung von flipped-Classroomszenarien hatte ich zu dem Thema im vergangenen Jahr auf der Abschlusstagung des OPCO12 vorgetragen (vgl. Aufzeichnung und Folien).

J. Hamadeh: Was lernen Sie informell?

V. Langer: Alles Mögliche zum Beispiel durch das Schreiben dieses Blogs :-)! Weitere Ausführungen hebe ich mir fürs Podium auf ;-).

Quelle: Wittwer, W. (2003). „Lern für die Zeit, wird tüchtig fürs Haus. Gewappnet ins Leben tritts du hinaus“ – Förderung der Nachhaltigkeit informellen Lernens durch individuelle Kompetenzentwicklung. In W. Wittwer & S. Kirchhof (Hrsg.). Informelles Lernen und Weiterbildung: Neue Wege der Kompetenzentwicklung (S. 13-41). Neuwied: Luchterhand.

Inverted Classroom Modell im Grundlagenmodul in der Wirtschaftsinformatik

flipclass modelVor einem Jahr fand die erste deutsche Konferenz ICM 2012 zum Inverted Classroom Model (synonym auch Flipped Classroom) in Marburg statt. Seitdem gab es auch hier zu Lande eine Reihe mutiger Lehrender, die dieses Modell in ihren Lehralltag integriert haben. Einige werden auf der diesjährigen ICM 2013 sicher vorgestellt und diskutiert. Es geht also um Lehren und Lernen im Wandel: Wieviel „Vorlesung“ braucht ein/e Studierende/r im Zeitalter von YouTube, Wikipedia, Facebook und Google noch? Wie können neue Formate (z.B. Inverted Classroom oder Offene Online Kurse) die Lernenden zeitgemäß beim Lernen unterstützen? (Bildquelle)

Das Bologna-Dilemma – Punkte sammeln

Die Bologna-Reform hat in unseren Hochschulen viel in Bewegung und auch positive Veränderung gebracht, insbesondere was Sicherung von Mindestqualitäten und die Transparenz von Lehr-/Lerninhalten angeht. Auch eine adäquate Abschätzung des studentischen Arbeitsaufwandes (Workload) soll jetzt in den Curricula der Bachelor-/Masterstudiengänge berücksichtigt werden. Inhalte, die zu einem gemeinsamen Lehr-/Lernziel beitragen, werden zu Modulen zusammengefasst. Modulprüfungen erbringen die Studierenden studienbegleitend. Soweit die Theorie! Die Praxis sieht jedoch anders aus. Zum Thema „Workload“ und dessen Wahrnehmung, hat sich der Kollege Schulmeister in seiner „Zeitlaststudie“ bereits ausführlich geäußert. Ein anderer Problembereich, der auch dem System geschuldet ist, liegt im eigentlichen Lernen bzw. der Lernkultur die dadurch gefördert wird. Auf der Jagd nach den 30 ECTS-Punkten pro Semester wird oftmals nicht nachhaltig gelernt, sondern Prüfungs-spezifisch selektiert:“Ist das Klausur-relevant, Herr Professor?“ und überhaupt „wie komme ich am effizientesten an meine Punkte?“. Die Lernkultur ist durch dieses System stark prüfungsorientiert und nicht wie ursprünglich geplant Lerner- und Kompetenz-orientiert.

Neues Lernformat – neue Chancen?

Beim Inverted Classroom Model (ICM) werden die Lehr-/Lernaktivitäten in der Weise vertauscht (invertiert), dass das Erschließen der Inhalte nicht mehr gemeinsam in einer Vorlesung geschieht, sondern individuell im Selbststudium im eigenen Lerntempo wann und wo der Lerner es möchte. Die gemeinsame Präsenzveranstaltung kann in diesem Modell mit wertvollen „Mehrwertaktivitäten“ gestaltet werden. Zum Beispiel vertiefen Studierende das Verständnis der Inhalte durch Diskussionen und Fragen im „aktiven Plenum“. Das Wissen kann in Übungen oder Fallstudien angewandt oder auf andere Fragestellungen transferiert werden. Dadurch wird die Kontinuität im Lernprozess gefördert, insbesondere dann, wenn ein Kompetenz-orientierter Leistungsnachweis und nicht eine Klausur den Lernfortschritt dokumentiert. Wenn es gelingt, in der Präsenzveranstaltung einen echten Mehrwert zu schaffen und den Leistungsnachweis nicht von einer Stichtagsprüfung abhängig zu machen, dann sollte damit auch eine Qualitätssteigerung im nachhaltigen Lernen möglich sein.

Grundlagenmodul in der Wirtschaftsinformatik „Vernetzte IT-Systeme“

Im vorliegenden Beispiel geht es um ein Grundlagenmodul im dualen Bachelor-Studiengang Wirtschaftsinformatik (B. Sc.), der sechs Semester umfasst. Im dritten Semester findet das Modul „vernetzte IT-Systeme“ (VIT) statt. In der Modulbeschreibung ist das Qualifikationsziel wie folgt definiert: „Die Studierenden sind mit den grundlegenden Begriffen vernetzter IT-Systeme vertraut und … Sie können den Aufbau heterogener lokaler Netze klassifizieren und selbstständig planen.“ Als Voraussetzung für die Belegung des Moduls ist das Modul „Grundlagen der Informatik“ erfolgreich vorher abgeschlossen. Das Modul VIT selbst dient als Grundlage für weitere Module z.B. „Netzwerkmanagement“, „Netzwerksicherheit“ oder „Web-Engineering“.

VIT-Modulo

Es wurde in den vergangenen Jahren „klassisch“ als seminaristische Vorlesung mit Übung/Praktikum und abschließender Klausur angeboten. Die einzige Besonderheit, die aufgrund des dualen Studiums integriert  war, bestand in der sogenannten Praxisrecherche, ein Arbeits-/Rechercheauftrag, den die Studierenden bereits während ihrer betrieblichen Praxisphase zur Vorbereitung des Moduls erarbeiteten. Der Workload umfasst 5 ECTS-Anrechnungspunkte, also einen Lernaufwand von insgesamt 150 Stunden. Davon waren ca. 60 Stunden Präsenzveranstaltung und 90 Stunden Selbststudium vorgesehen. Die lernortübergreifende Betreuung findet über das Lernmanagement System ILIAS statt. Die Größe der Studiengruppe umfasst typischerweise 25 Studierende.

Neues didaktisches Konzept

Als vorrangiges Ziel einer Integration des ICM war es für uns wichtig, die Qualität und die Nachhaltigkeit im Lernen zu verbessern. Im neuen didaktischen Ansatz sollte also nicht nur die Distribution der Inhalte geändert werden, sondern auch die Präsenzphase gleichen Umfangs und der Leistungsnachweis sinnvoll gestaltet werden. Der Ablauf des Lehr-/Lernszenarios ist in der Abbildung dargestellt. Zu Beginn des Semesters befinden sich die Studierenden noch am Lernort des Betriebes. Sie werden über das LMS in den Kurs „VIT“ eingeladen und bekommen dort ihre Rechercheaufgabe.

didaktisches konzept

Wir haben uns entschieden diese Aufgabe von einer Gruppenaufgabe jetzt auf eine individuelle Aufgabe umzustellen. Jeder Studierender erstellt zum Thema einen Wiki-Beitrag, der gewissen Mindestanforderungen (eigenes Bild, beschreibender Text und Quellen zur Vertiefung) genügen muss.

wiki beispiel

Noch während der Praxisphase bekamen die Studierenden nach erfolgreicher Bearbeitung der Rechercheaufgabe den Zugang zu den Inhalten des ersten Kapitels freigeschaltet. Die Inhalte waren in insgesamt sechs Kapitel unterteilt. Als Lernmaterialien wurden neben der Standardliteratur die Leer/Lehrfoliensätze, Screencasts und Selbsttests angeboten. Die Selbsttests dienten auch zur weiteren Taktung. War ein Selbsttest am Ende eines Kapitels mit 80% erfolgreich abgeschlossen, konnte der Teilnehmer nach eigenem Ermessen mit dem nächsten Kapitel bereits beginnen.

Zur Vorbereitung der Präsenzveranstaltung lag die Anforderung an die Studierenden darin, dass diese jeweils das im Organisationsplan vorgesehene Kapitel selbständig vorbereitet und den Selbsttest erfolgreich abgeschlossen hatten. Interessanterweise hatte ein Drittel der Studierenden bereits vor der ersten Präsenzveranstaltung sämtliche Selbsttests erfolgreich abgeschlossen.

Vorbereitung der Materialien – Videos als Lernnuggets

Screencast VITDie Inhalte des Moduls haben wir mit drei Kollegen (Autor gemeinsam mit M. Meron und F. Schimanke) in sechs Kapitel unterteilt und vorab als Screencasts (Bildschirmaufzeichungen) mit der Videoaufzeichnungssoftware Camtasia Studio von TechSmith vorproduziert. Als Basis dienten uns dabei bereits vorhandene Leer/Lehrfolien, die wir in einem „Frage-Antwortszenario“ zu zweit vor der Kamera vorgestellt und erarbeitet hatten. So kamen insgesamt ca. 45 Lernnuggets in Form von etwa 10minütigen Screencasts zusammen, die wir wie oben beschrieben in das LMS eingestellt haben. Die Produktion war zu unserer eigenen Freude in einem sehr überschaubaren Zeitverhältnis (Videozeit/Produktionszeit ca. 1:2) machbar, wobei hier nicht die Maßgabe des „Perfekten“ entscheidend war, sondern die Authentizität zählte.

Mehrwertveranstaltung „Aktiv-Seminar“

Die wichtigste Herausforderung lag in der Gestaltung der Präsenzveranstaltungen. Wir entschieden uns für ein „Aktiv-Seminar“, das in drei Phasen aufgeteilt war. In der ersten Phase konnten die Studierenden Fragen zu den Lehrmaterialien stellen, die dann gemeinsam erarbeitet und beantwortet wurden. In der zweiten Phase brachte der Dozent eine Fragestellung als Transferbeispiel ein, bei dem es darum ging, dass die Studierenden ihr Wissen in der Praxis anwenden und testen konnten.

aktivseminar

Schließlich diente etwa die halbe Zeit für die dritte Phase, in der die Studierenden in Kleingruppen (vier Studierende) eine Fallstudie (im vorliegenden Fall eine Netzwerkplanung) bearbeiteten. Hier war der Dozent als Auftraggeber und als Berater gefordert.  Das Ergebnis der Fallstudie war eine Netzwerkplanung im Umfang von ca. 30 Seiten, die als Gruppenleistung bewertet wurde. Neben dem Aktiv-Seminar gab es noch Übungsveranstaltungen mit studentischen Übungsleitern und Praktika mit einem Dozenten, um bestimmte Tools und Netzwerkkomponenten kennen zu lernen.

Erfahrungen –  Lessons Learned

Die erste Vorbereitung des gesamten Szenarios war sicher erheblich aufwendiger als in der klassischen Form, hat aber den beteiligten Dozenten Spaß gemacht. Die Aktivitäten im Aktiv-Seminar waren in meiner Studiengruppe jeweils abhängig von der Phase. In der Fragephase hätte ich mir deutlich mehr Fragen zu den Inhalten gewünscht, die dann allerdings in der dritten Phase (Bearbeitung der Fallstudie) teilweise nachgeholt worden sind. Insgesamt waren die Aktiv-Seminare durch fachliche Dialoge geprägt, ganz anders als im klassischen Lehr-/Lernszenario. Die Aktivierung der Studierenden war dadurch über den gesamten Semesterzeitraum sichergestellt.

VIT Evaluation

In der abschließenden Evaluation gab die Mehrheit der Studierenden an, dass das Lernen und Erschließen der Inhalte mit Hilfe von Videos für sie einfacher ist als in der traditionellen Vorlesung. Wenn Sie die Wahl zwischen dem neuen und dem traditionellen Konzept hätten, würden sich ca. 88% der Studierenden für das neue Konzept entscheiden.  Die größte Herausforderung für die Studierenden war die Bearbeitung der Fallstudie. Obwohl dafür mehr als die Hälfte des Aktiv-Seminars zur Verfügung stand, gelang nicht immer der Transfer des Wissens auf die Aufgabenstellung, so dass hier künftig mehr Anleitung in dieser Phase des Studiums (3. Semester) notwendig ist. Wir leiten daraus einen Handlungsbedarf in der Präzisierung der Anleitung und der Darstellung der Zusammenhänge zwischen der Theorie und der praxisnahen Planung ab.