Oder: Der Unterschied zwischen Attitude und Behavior
Unser Gehirn ist auf Effizienz ausgelegt. Wie eine gut geölte Maschine.
Veränderungen und das dabei notwendige Verlernen bzw. Umlernen stört unser geschmiertes System (unsere Routinen). Das mag dieses erst einmal garnicht…
Menschliche Veränderungs- / Lernfähigkeit sowie Lernbereitschaft als zentraler Ansatzpunkt für persönliche und organisationale Entwicklung
Ich möchte hier einmal ein paar Gedankengänge in die digitale Runde werfen, die mich schon seit längerem beschäftigen, da ich sie als zentral für Entwicklungsprozesse bei Menschen erachte.
Auch möchte ich anfangen solche Gedanken bereits transparent zu machen, bevor ich diese (gefühlt) “fertig gedacht” habe.
Also Beta-Gedanken sozusagen, die darauf warten weiter aufgegriffen, verfeinert und konkretisiert zu werden.
Bei der vorherrschenden Komplexität und Schnelllebigkeit um uns herum, leben wir glaube ich eh immer mehr in einer “Beta-Gesellschaft”…
Die Zukunft des Lernens sowie die Veränderungsfähigkeit von Organisationen liegt für mich darin die in dem jeweiligen Kontext gebildeten Routinen, auf Mikro-, Meso- und Macro-Ebene transparent machen zu können und stetig zu hinterfragen. Das schöne ist, dass viele der agileren Methoden bzw. Mindsets dies bereits verinnerlicht haben. Deswegen erachte ich diese auch für sehr zentral in der Transformation von Unternehmen hin zur Netzwerkgesellschaft / Potenzialwirtschaft / VUKA-Welt.
Doch was steht der Veränderungsfähigkeit von Menschen “im Wege”? Wo liegt das Problem, dass wir Veränderungen oftmals zuerst als nicht positiv ansehen?
Die „Entkoppeltheit“ von Attitude und Behavior
Zwischen Attitude, also unseren Einstellungen und Werten und Behavior, unserem schlussendlich sichtbaren Verhalten, liegt aus meiner Sicht noch eine (unsichtbare) Schicht, die diese entkoppelt.:
Nämlich unsere Routinen, die aus Erfahrungen und erlernten Fähigkeiten gebildet werden.
Sie stellen ganze Verhaltensmusternetzwerke bereit, die für uns oftmals völlig unbewussten und unreflektiert einfach immer und immer wieder abgerufen werden. Klar mag dies unser Gehirn besonders gerne, da diese besonders Energiesparend also effizient für unser Gehirn abzurufen und auszuführen sind…
Wir glauben immer, dass wir kohärente Wesen sind, die sich immer nach ihren Werten gleich verhalten. Doch sind wir meistens aus meiner Sicht immernoch eher inkohärente, kontextabhängige Chamäleons, die mehr wie ein Fähnchen im Wind wehen. Je nachdem, welches Verhaltensmusternetzwerk in einem bestimmten Kontext in der Vergangenheit gebildet wurde tendieren wir sehr stark dazu dieses immer wieder aufs Neue abzurufen.
Sich diese Routinen zuerst bewusst zu machen, um diese Verändern zu können, bedarf einem hohen Aufwand an Zeit und Energie.
Wo haben wir diese noch in unserer vernetzten, schnellen Beta-Gesellschaft?
Verhalten, Werte und ihr Kontext
Unser Verhalten ist viel stärker durch kontextabhängige Routinen geprägt, als uns dies bewusst ist. Unsere Einstellungen sind allerdings oftmals eher idealistisch, global und allumfassend.
Wenn sich unsere Werte und Einstellungen ändern, haben wir unsere bisherigen Routinen / Verhaltensmuster allerdings nicht automatisch so stark „irritiert“, dass diese sich direkt und automatisch mit verändern.
Somit haben unsere Werte keinen direkten Einfluss auf unser Verhalten. Attitude und Behavior sind entkoppelt.
Ein Beispiel: Wenn ich jemanden frage: „Findest du wir sollten die Meere besser vor Verschmutzung, insbesondere Plastik schützen?“, werde ich sehr oft die Antwort erhalten, „klar, das sollten wir auf jeden Fall, da…“.
5 Minuten später geht die selbe Person in einen Supermarkt, kauft einzeln eingeschweißte Ananasscheiben aus Südafrika und trägt diese in einer neuen Plastiktüte nach Hause. Das Bewusstsein, dass wir mit unseren Meeren besser umgehen sollten ist da, doch hat dieses oftmals noch keine Auswirkungen auf unser tägliches Verhalten. Hierzu müssten wir uns konstanter selbstreflektieren, um uns unsere automatisierten, oft unbewusst ablaufenden Routinen bewusst zu machen.
Wirkliches, „nachhaltiges“ Lernen findet aus meiner Sicht nämlich nur statt, wenn dies auch Auswirkungen auf unsere Verhalten hat.
Sonst würde ich eher von „Wissensspeicher füllen“ sprechen, was zwar neues Wissen anhäuft, aber keine Auswirkungen auf unser Verhalten und damit auch Fähigkeiten hat.
Wir sind gut darin, sehr effizient den Wissensspeicher zu füllen, aber dies zumeist äußerst ineffektiv und ohne wirkliche, positive Auswirkungen auf unser Verhalten. Also eigentlich eine eher sinnlose Art des „Lernens“, was es ja in dem Sinne dann gar nicht ist, wenn der Satz gilt, das Lernen nur dann stattfindet, wenn sich auch das Verhalten ändert.
Könnte dies mit der Art zu tun haben, wie wir in der Schule in Bezug auf Lernen sozialisiert wurden? Ich denke, ja.
Somit findet in den meisten Lern- und Trainingssettings gar kein wirkliches Lernen statt, da in den aller wenigsten Fällen daran gearbeitet wird, wie und wo das neue Wissen zu konkreten Verhaltensänderungen führt.
Kontextunabhängige Transferfähigkeit heißt hier mein Schlagwort, welches ich als die Königsdisziplin der Lernfähigkeit ansehe.
Ein Lernsetting zur Stärkung dieser Kompetenz zu entwickeln, dass fände ich einmal spannend! 🙂 Wer Lust hat daran mitzuwirken, meldet sich einfach mal bei mir. 🙂
Veränderung ist das Aussetzen und vor allem auch VERLERNEN von Routinen, um Platz für neue Verhaltensmuster zu schaffen.
Unser Gehirn ist auf Effizienz ausgelegt. Neue Routinen sind zuerst einmal ineffizient und Fehlerbehaftet (0-Fehlerkultur lässt grüßen ;-)). Nur wenn das Umfeld eine Veränderung wirklich notwendig macht, finden deshalb Veränderungen statt (siehe auch „Sence of Urgency“ nach John P. Kotter). Denn diese kosten viel Energie, die wir oftmals nur bereit sind aufzubringen, wenn es echt echt, ganz echt, notwendig ist.
In einem Workshop mit Klaus Doppler, meinte dieser einmal sinngemäß zu mir:
“Menschen verändern sich immer nur dann, wenn der Leidensdruck groß genug ist.”
Ich empfand dies als eine harsche und für mich irritierende Aussage, die mich immer noch beschäftigt. Mittlerweile muss ich ihm hier leider mehr recht geben, als ich mir das wünsche. Ohne eine Stufe der Entwicklung erreicht zu haben, auf der man sich stetig selbstreflektieren kann, sich seinen Routinen bewusst wird, ist dies aus meiner Sicht leider sehr zutreffend. Aber ich sehe auch Licht am Ende des Tunnels. Wir können diese Fähigkeit entwickeln und Veränderung, wenn wir es besser als Entwicklung bezeichnen, in unsere Verhaltensmuster integrieren. So zumindest mein Eindruck heute. 🙂
Doch was passiert, wenn kontinuierliche Veränderung ein Teil der Routine wird?
Ist dies überhaupt möglich?
Wenn man als Routine die kontinuierliche Weiterentwicklung verinnerlicht hätte, dann könnte dies doch bedeuten, dass neue Rahmenbedingungen, neues Wissen und die sich dadurch verändernden Einstellungen leichter auch zu Verhaltensänderungen führen, oder nicht? Die oben bereits angesprochene Selbstreflexionsfähigkeit, also eine Position auf einer Meta-Ebene einnehmen zu können, um die eigenen Routinen besser zu beobachten bzw. diese erst transparenter wahrnehmen zu können, erachte ich hierbei für sehr wichtig. Wo lernen wir so etwas? In der Schule und Hochschule leider schon einmal nicht.
Ich stelle mir die Frage, ob wir Rahmen bauen können, die den Drang sich dauernd weiterentwickeln zu wollen quasi als Kulturmuster in ihrer DNA haben? Dies schreit an dieser Stelle im Prinzip nach dem Fabelwesen der Lernenden Organisation.
Wenn wir es schaffen, dass das Umfeld / der Rahmen eine kontinuierliche Veränderung unterstützt und vorlebt, würden auch die für alle Menschen wichtigen Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Anerkennung in diesem System “greifen”. Diese Kulturmuster damit weiter verstärken, da das vorherrschende System einem dies positiv vorlebt. Man könnte auch sagen, da das soziale Umfeld dies von einem „fordert“ (sozialer Druck).
Ich glaube hierin liegt irgendwo der Schlüssel zu einer „echten“ Lernenden Organisation, die im Wandel zur Netzwerkgesellschaft aus meiner Sicht zu DEM entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden kann, welchen eine Organisation benötigt, um sich weiterhin am Markt erfolgreich platzieren zu können.
Hier spielen aus meiner Sicht nun auch ganz stark die immer stärker aufkommenden „agileren“ Methoden als Teil der DNA (vorherrschende Kulturmuster) eines Systems mit hinein. Die einzelnen Fragmente aus z.B. den Bereichen Lean Startup, SCRUM, Design Thinking, Effectuation, Working Out Loud, BarCamps,… dienen hierbei nicht nur als Treiber für eine Rückbesinnung auf Kundenbedürfnisse bzw. das Lösen von Problemen im Sinne der Kunden, sondern auch als rahmenbildende Enabler einer Lernenden Organisation.
Zu dem Thema der Lernenden Organisation möchte ich noch gesondert einen Artikel schreiben und belasse es deswegen hier erst einmal dabei. Ich werde diesen hier dann noch verlinken, wenn er fertig ist.
Verändern, Lernen und Verlernen = same same but different!?
Verändern und Lernen aber auch Verlernen stehen für mich in einer starken Wechselwirkung zueinander. Das Eine ohne das Andere gibt es nicht. Könnte man die beiden Begriffe einfach gleichsetzen? Könnte der Begriff Entwicklung beide unter sich vereinen?
Oder ist Verändern eher ein Teil von Lernen, da man immer erst etwas lernen muss, bzw. sein Verhalten ändern muss, um sich tatsächlich zu entwickeln?
Warum wurde Lernen und Verändern, im Corporate Deutsch „Learning” und “Organizational Change” / “Organizational Development” aber in den Unternehmen dann künstlich getrennt? Ist das sinnvoll?
Was bedeutet dies im Rahmen der aufkommenden Netzwerkgesellschaft?
Willkommen in der Netzwerkgesellschaft!
Ich habe den Begriff hier oft genutzt, ohne zu sagen, was ich damit meine. Was genau, dem möchte ich auch noch einen extra Artikel widmen. Es hier aber schon einmal kurz anreißen.
Für mich sind die Trends unserer Zeit wie NewWork, Nachhaltigkeit, Vernetzung, Agile- und Peer-Methoden, Industrie 4.0, künstliche Intelligenz, unser Innovationskraftproblem… nur Teilaspekte eines viel tiefergreifenden Wandels in Richtung einer Netzwerkgesellschaft / der Network Society.
Meine Annahmen beruhen dabei auf einem Modell aus der Entwicklungspsychologie namens Spiral Dynamics, eigenen Beobachtungen, sowie den Publikationen des ZukunftsInstituts z.B. das Neue Wir-Gefühl, dem Artikel zu Potenzialwirtschaft und den Talks und Büchern von Gunter Dueck (z.B. Flachsinn) und Simon Sinek. Zu Spiral Dynamics habe ich bereits einmal einen Artikel geschrieben, der auch das Modell etwas erläutert. Siehe hier. Auch in einem Podcast habe ich darüber gesprochen (dies war mein Erster ever und ehrlich gesagt, finde ich diesen nicht so wirklich gelungen von meiner Seite aus, aber er erläutert das Modell Spiral Dynamics relativ kurz und knapp. Diesen findest du hier). Wer etwas mehr dazu hören möchte, kann sich das Video von Leo von Actualized.org dazu anschauen, der dieses wirklich umfassende und äußerst komplexe Modell sehr gut erläutert. (Link zum Video)
Welche Auswirkungen haben meine Ausführungen hier aber nun konkret auf Corporate Learning, Change- sowie Innovation Management in Organisationen? Dies ist wie an so vielen Stellen in diesem Artikel eine offene Frage, für die ich mir einmal gesondert Zeit nehmen möchte.
Toll fände ich, wenn dieser Artikel euch zum Nachdenken anregt und ihr selbst eure Gedanken dazu, seien diese auch noch unausgereift und „unperfekt”, einmal niederschreibt und veröffentlicht.
Falls dies geschieht, bitte verlinkt diese hier, dass ich auch daran teilhaben und neue Ideen daraus formen kann.
Weiterführungen, Konkretisierungen oder auch Verwerfungen meiner Gedanken wären somit sehr willkommen. Also nur raus damit, falls euch etwas dazu im Kopf herumschwebt.
Meine Abschlusshypothese lautet: Wenn wir es schaffen die richtigen Rahmen zu designen, die die Zwischenschicht der Routinen zwischen Attitude und Behavior „steuerbarer“ für das Individuum macht, lösen wir sehr viele der Themen, die uns im Rahmen von NewWork bzw. der Netzwerkgesellschaft begegnen.